Wie Traudi Schwienbacher das Ultental verändert hat

von Ilka Tempel im Auftrag von hiddenland

Schafwolle macht die halbe Hausapotheke aus und bietet für Körper, Geist und Seele eine unheimliche Fülle an Heilkräften. Trotzdem landet ein Großteil dieses wertvollen Rohstoffes jedes Jahr einfach auf dem Müll. Traudi Schwienbacher wollte das nicht mehr hinnehmen, krempelte deshalb im Südtiroler Ultental die Ärmel hoch und lässt mit der Ultener Winterschule alte Traditionen wieder aufleben.

Die 77-jährige Traudi, wie sie hier von allen genannt wird, lebt im völligen Einklang mit der Natur. Ihr Wissen über die Reichtümer und Heilkräfte der Natur ist faszinierend. Wir haben sie in ihrem Heimatort St. Waltraud getroffen, um von ihr über die Naturfaser Wolle und ihre Liebe zur Natur zu erfahren.

Traudi Schwienbacher Ultental Winterschule

„Es ist eine Fülle und ein Reichtum in der Natur, die mich immer wieder sprachlos macht.“

 

Ilka Tempel: Frau Schwienbacher, Sie haben ein von der Schule bis zum Arbeitsplatz alle Lebensbereiche umfassendes Konzept ausgearbeitet, was unter dem Titel "Lebenswertes Ulten" bekannt wurde. Erzählen Sie uns etwas darüber? Wie kam es dazu? 

Traudi Schwienbacher: Das Projekt „Lebenswertes Ulten“ wurde vor 31 Jahren ins Leben gerufen. Die Idee dafür haben die Schafe und die Wolle geliefert. Einmal im Jahr ist hier im Tal ein Schafmarkt, eine ganz alte Tradition. Ich habe mich schon damals mit gesunder Ernährung und gesunder Kleidung befasst und war entsetzt, als mir die Bauern erzählten, dass sie die Wolle der Schafe auf den Müll schmeißen, da dieser Rohstoff nichts wert ist und sie nur mit dem Fleisch noch etwas verdienen. Dann hat es bei mir klick gemacht und ich habe gedacht: „So können wir nicht weitermachen!“. Man sagt, die Wolle macht die halbe Hausapotheke aus und trotzdem schmeißen wir sie in den Müll und kaufen stattdessen teure synthetischen Kram. 

Wir haben dann in der Bevölkerung von Ulten eine Befragung gestartet, um herauszufinden, wo in Ulten der Schuh drückt. Aus den Schwerpunkten, die herausgekommen sind, haben wir dann verschiedene Arbeitsgruppen gegründet, eine für Landwirtschaft, Tourismus, Handel und Gewerbe, eine für Gemeindeökologie, eine für Raumordnung und eine für den sozialen, kulturellen Bereich. Für jede Gruppe haben wir ein Leitbild erstellt und dann ging die Arbeit los.

Die 31 Jahre waren sehr arbeitsintensiv. Für mich als Initiatorin erst recht, denn wenn bei so einem Projekt der Karren einmal steckt, dann braucht es einfach ein Zugpferd, das anzieht. Aber es hat sich gelohnt. Wir haben dann auch die Ultener Sozialgenossenschaft und Wollmanufaktur „Bergauf“ gegründet, in der wir die Wolle der Ultener Bergschafe in liebevoller Handarbeit zu einzigartigen Produkten verarbeiten. 

Als Teil davon ist auch die Ultener Winterschule entstanden, die mittlerweile über die Grenzen des Ultentals bekannt ist. Wie ist die Schule entstanden und was wird hier gelehrt?

Die Winterschule haben wir 1993 gegründet. Wir wussten, über längere Sicht können die Bergbauernhöfe im Ultental nicht mehr von den Erlösen für Milch, Fleisch, Holz und Wolle allein leben. Die Landwirtschaft hier in Ulten ist sehr kleinstrukturiert, außerdem sind die Flächen sehr steil und schwierig zu bearbeiten. Ich ahnte einfach, dass viele Höfe aufgeben werden und die Bauern keine andere Wahl haben würden, als sich eine Arbeit außerhalb vom Tal zu suchen. Damit würde das wertvolle Kulturgut verloren gehen. Für die Traditionen, wie Schindeldächer, Holzzäune, die Trockenmauern wäre einfach keine Zeit mehr. Außerdem wäre es sehr schade, die wertvollen Rohstoffe des Tals nur zu Schleuderpreisen zu verkaufen. Mit der Veredelung der Produkte kann Geld verdient werden und Perspektiven geschaffen werden. In der Winterschule sollen das Wissen und die Fertigkeiten dafür gelehrt werden. Gleichzeitig soll die Achtsamkeit gegenüber der Natur und die Freude am kreativen Gestalten gefördert, überliefertes Wissen weitergeben und dies mit den aktuellen Erkenntnissen verknüpft werden. Für die Bäuerinnen und Bauern des Tals war dies eine gute Möglichkeit, die hofeigenen Ressourcen besser zu nutzen und sich einen Zuerwerb zu schaffen.  

In unserer Schule bieten wir den Teilnehmer eine dreijährige Ausbildung in den Bereichen Holzverarbeitung, Flechten, Alpine Kräuterkunde, Wildblumenfloristik, Weben, Filzen, Klöppeln, Stricken, Permakultur, sowie Gesundheit aus ganzheitlicher Sicht und vieles mehr an.

Sie schaffen es in der Winterschule, die Rückbesinnung an Weisheiten unserer Vorfahren zu vermitteln. Das ist gelebte produktive Nostalgie. Empfinden Sie das auch so?

Für mich ist es die Rückbesinnung und die Einfachheit, die die wichtigen Faktoren für ein ausgeglichenes, achtsames Leben sind. Die Wurzeln der Liebe, auf die wir uns besinnen sollten, sind Liebe, Achtsamkeit, Wertschätzung und Wahrnehmung. Damit können wir für eine liebevollere Welt sorgen.

Ich unterrichte in der Winterschule das Seminar „Die Heilkraft in sich und der Schöpfung finden“. Wir haben ja alles mitbekommen und müssten es nur nutzen. Je mehr wir in Harmonie mit uns selbst sind und im Einklang mit der Natur, desto mehr können wir gesund sein. Es ist die Disharmonie, die uns krank macht.

Wir können natürlich die neuen Erkenntnisse mit einfließen lassen. Da zeigt uns auch wieder die Natur, wie es geht. Alles ist im Fluss. Die Jahreszeiten und der damit verbundene ständige Wechsel. In der Natur wird nichts festgehalten. Aber wir Menschen tendieren dazu, das Alte aufrechtzuerhalten. Wir sollten aber schauen, wie wir Dinge verbessern und verfeinern können. Die Verbindung von Traditionen und neuen Erkenntnissen ist wichtig, anstatt stur am Vergangenen festzuhalten.

„Die Verbindung von Traditionen und neuen Erkenntnissen ist wichtig, anstatt stur am Vergangenen festzuhalten.“

 

Erzählen Sie uns etwas über den hohen Gesundheitswert von der Naturfaser Wolle.

Wolle ist die gesündeste Faser für den Menschen überhaupt. Sie besteht aus Natureiweißfasern und passt einfach am besten zu unserem Körper. Die enthaltenen Stoffe sind gut für Haut, Haare, Knochen, Muskeln, Zellaufbau, gut für den Kreislauf und auch auf unsere Seele hat sie einen Einfluss, denn sie vermittelt Optimismus. Wolle ist eine wunderbare Faser. Sie weist Schmutz und sogar Schweiß weitestgehend ab und muss daher viel seltener gereinigt werden. Sie gibt Bakterien und Mikroben keinen Nährboden. Wolle hat die höchste Saugfähigkeit unter den Fasern, sie kann bis zu 40% Feuchtigkeit aufnehmen, ohne dass wir auf der Haut Nässe spüren, wenn wir Wollkleidung tragen.

Wir tragen Tag und Nacht Kleidung am Körper, sie ist quasi unsere zweite Haut. Unsere Bekleidung sollte daher so beschaffen sein, dass sie uns gegen Wärmeverluste, Wärmeeinwirkungen und -stauung schützen kann. Sie sollte ermöglichen, dass die Haut in genügender Weise belüftet wird und die Schweißabsonderung sich langsam an die Luft verteilen kann. Sie soll so geartet sein, dass sie diese Funktion nicht stört oder behindert, denn davon hängt das Wohlbefinden des Menschen weitgehend ab. Auch seine Leistungsfähigkeit, Wachheit und Organtätigkeit werden entscheidend beeinflusst. Eine Kleidung sollte ein Wärmegleichgewicht in der Peripherie des Menschen ermöglichen. Dieses Wärmegleichgewicht macht für den Menschen Kräfte frei, die er für freies, inneres und geistiges Arbeiten zur Verfügung hat. Wenn wir aber Kleidung mit Kunstfaser tragen bleibt der Schweiß, der aus Wasser, Salzen und Giftstoffen besteht, auf der Haut haften. Über längere Zeit ist es für uns sehr ungesund, immer diese Giftstoffe auf der Haut zu haben.

Heute zum Beispiel trage ich ein Kleid aus ganz dünner Wolle, das kann ich Winter wie Sommer tragen, es wärmt und kühlt, es ist einfach herrlich.

Wollfett ist hervorragend hautverträglich und wird von der menschlichen Haut leicht aufgenommen. Es wird in der Kosmetik für Shampoos, Gesichtscremes und Seifen verwendet. Wollfett macht schön, wirkt entzündungshemmend und sogar cholesterinsenkend.

Wissenschaftler des Deutschen Wollforschungsinstitut in Aachen haben herausgefunden, dass Wolle Umweltgifte chemisch bindet, filtert und gereinigt wieder abgibt. Ein wahres Wundermittel also. Was die Gesellschaft da heute einfach in den Müll wirft, das ist unglaublich.

Woran liegt es, dass die Menschen diese offensichtlichen Vorzüge mißachten?

Vieles ist einfach in Vergessenheit geraten und es herrscht eine Lieblosigkeit. Die Achtsamkeit und Wertschätzung gegenüber der Natur fehlen. Aber wenn die Leute hier in der Winterschule die Herstellung dieser Produkte erlernen und begreifen, was es für eine Arbeit ist, beispielsweise die Wolle, selbst zu verarbeiten, dann wächst die Wertschätzung wieder. Dann haben die Leute wieder nur fünf Kleider im Schrank, aber diese haben einen hohen Gesundheitswert und sie schätzen diese.

Wir möchten immer das Ganzheitliche vermitteln in dieser Schule. Wenn zum Beispiel ein Kleid aus Wolle oder Seide doch einmal kaputt geht, dann wird es zu Kordeln verarbeitet und daraus wieder andere Kleidungsstücke gefertigt. Alles wird bis zum Schluss wertgeschätzt und recycelt. Und wenn es dann auch noch wieder irgendwann kaputt ist, dann kann man es auf den Kompost werfen und der Kreislauf ist wieder ganz geschlossen. Diese Wertschätzung und Achtsamkeit sind uns sehr wichtig. Wir müssen weg von dem ewigen schnellen Konsum.

Sie färben ihre Kleidung mit Farben aus der Natur.

Ich lege viel Wert auf naturgefärbte Stoffe, denn chemisch gefärbte Kleidung enthält oft bis zu zehn Nanogramm an Giften. Das klingt erstmal nicht viel, aber wenn wir so etwas Tag und Nacht an unserer Haut tragen, dann hat das einen Einfluss. Ich färbe mit Blüten, Blätter, Rinden und Baumflechten.

Ich befasse mich schon seit Jahrzehnten mit der Heiltherapie der Farben. Eine der ältesten Therapien, die bereits in der Antike verwendet wurde, nur haben wir das alles verlernt und vergessen. Für jedes Organ in unserem Körper gibt es eine Farbe, die heilend ist. Wir haben eine Lieblingsfarbe, weil die Seele einfach die Farbe für uns aussucht, die unser Körper gerade braucht. Gelb ist zum Beispiel die Farbe der Freude.

"Die Natur ist unsere höchste Hochschule.“

 

Können wir uns das alles von der Natur abgucken?

Die Natur ist unsere höchste Hochschule. Weil sie aber gratis ist, nutzen wir sie viel zu wenig. Wir sind ein Teil der Natur und wir sollten viel mehr im Zyklus der Jahreszeiten leben. Es wird uns draußen alles gezeigt, wie wir zu leben hätten. In jeder Jahreszeit wachsen die Kräuter, die gerade dann für den Körper optimal sind. Wenn wir nur anfangen, eine kleine Handvoll von diesen Kräutern in unser Essen zu mischen, dann wären wir schon viel gesünder.

Ich esse Farben - ich füge immer eine Handvoll Blüten mit in meinen Salat. Die ganzen Naturfarben sind hohe kosmische Schwingungen, die auf unseren Geist wirken aber auch in unserem Körper den Stoffwechsel anregen. Durch die Farben können wir Harmonie in unseren Körper bringen und uns heilen.

Heute rennen wir ständig Nebensächlichkeiten hinterher und für das Wesentliche, was uns glücklich und zufrieden machen würde, nehmen wir uns nicht mehr die Zeit, um es überhaupt anzuschauen. Im Frühling zum Beispiel die ganzen frischen Farben in der Natur. Besonders dann ist vieles Gelb: Löwenzahn, Schlüsselblume, Huflattich, Stiefmütterchen. Wenn die Sonne scheint, ist hellgelbes Licht. Wenn ich dann morgens aufstehe und die Sonne scheint, dann geht es mir gleich gut. Warum? Weil die Welt um uns herum durch die Sonne in die Farbe der Freude getaucht ist.

„Wenn die Sonne scheint, ist hellgelbes Licht. Wenn ich dann morgens aufstehe, dann geht es mir gleich gut. Warum? Weil die Welt um uns herum durch die Sonne in die Farbe der Freude getaucht ist.“

 

Sie tragen sogar Schuhe aus Wolle.

Ja, ich trage schon seit vielen Jahren Filzschuhe und ich habe niemals kalte Füße. Vom Boden sei es draußen oder im Haus der Holzfußboden, steigt ionisierte Energie hinauf, die gut für uns ist. Wenn wir aber den ganzen Tag Schuhe mit Gummi- oder Plastiksohlen tragen, dann werden wir von dieser Energie abgetrennt. Ich tüftele gerade an Filzschuhen, die ein Sohle aus einem Gemisch aus Naturkautschuk und pulverisierter Zirbelkieferrinde haben. Damit hätten wir wirklich für den ganzen Körper etwas Gutes. Der Mensch steht wieder in Verbindung mit dem Boden und der Natur. Zirbelkieferrinde deshalb, weil die Nadelbäume ebenfalls eine starke Heilkraft für den Körper liefern. Sie helfen gegen Rheuma, sind gut für die Bronchien, die Lunge, den Stoffwechsel, das Immunsystem, helfen gegen Muskelverhärtungen und können Entzündungen aus dem Körper herausholen. 

Wir sollten also alle wieder öfter in den Wald gehen. Wie können wir sonst noch wieder mehr in Verbindung mit der Natur kommen?

Wir sollten das alte Wissen mit dem Neuen verbinden. Ich habe die Bibel studiert und mir Zitate herausgesucht, die mein Leben geprägt haben. Jesus ist die höchste Lichtgestalt. Er sagte einmal: „Betrachtet die Natur und ihr wisst, wie ihr zu leben habt.“

Draußen in der Natur ist die Wahrheit, wir müssen nur einmal innehalten, um sie zu sehen. Ein Beispiel ist die Zeit des Advents: Die Natur kommt zur Ruhe, es ist alles in Stille und auf ein Minimum reduziert. Und was macht der Mensch? Wir rennen von einem Laden zum anderen. Sind auf den Weihnachtsfeiern. Backen und braten, als wären wir am Verhungern. Wir machen das Gegenteil der Natur. Den gleichen Fehler machen wir im Frühjahr: Draußen fängt alles an lebendig zu werden, überall sprießt es und wird lebendig und der Mensch? Der Mensch klagt über Frühjahrsmüdigkeit. Wir sind einfach aus dem Gleichgewicht geraten, wir nehmen uns der Wahrheit nicht mehr an und nehmen uns nicht mehr die Zeit, hinzuschauen.

„Die Natur bietet uns so eine Fülle und Reichtum, die wir einfach rundum für uns nutzen müssen.“

 

Sollten solche Themen und Fertigkeiten, wie Sie sie in der Ultener Winterschule lehren, ihrer Meinung nach als fester Teil in die Lehrpläne der Schulen integriert werden?

Es wäre so wichtig, dass auch die Kinder wieder mehr in Kontakt mit der Natur kommen. Wir haben oft Schulklassen hier, denen wir etwas über die Heilkraft der Bäume und Kräuter beibringen. Für manche ist das ein richtiger Aha-Moment, wenn sie mit mir durch den Wald gehen. Je mehr es uns gelingt, die Kinder und Jugendlichen, aber auch Erwachsene wieder hinzuführen zu dieser wunderbaren Natur, um so mehr Lebenssinn und Freude werden sie haben. Dann würde sich in der Gesellschaft etwas verändern. Kinder müssen auch wieder das Gärtnern lernen, dann bekommen sie Wertschätzung für die Natur und für die Nahrung.

Alles auf dem Wegleit Kräuterhof lebt mit der Natur und ihren Kreisläufen. Wie halten Sie diesen Kreislauf aufrecht?

Wir bauen hier am Hof auf einem Dreiviertel Hektar Kräuter an und haben Kühe. Wir sind ein rein biologischer Hof. Wir kompostieren den Mist und nutzen den Kompost dann wieder für unsere Beete. Der ganze Kreislauf ist auf dem Hof sichergestellt. Wir haben außerdem einen Permakulturgarten, in dem wir unser Gemüse ziehen. Ich selbst und auch meine Enkelin haben die Permakulturausbildung gemacht und wir nutzen die Wechselwirkungen der Pflanzen aufeinander. Die Kräuter verarbeiten wir zu Tees, Kosmetik und Heilmitteln.

Auch Flachs bauen wir im Garten an und verarbeiten es dann zu Stoffen. Mir ist es wichtig, dass wir die Rohstoffe aus dem Garten nutzen, damit wir die Ressourcen aus unserem nahen Umkreis nehmen und nicht aus der weiten Ferne herbeischaffen.

Uns interessiert besonders die Verarbeitung der Wolle. Wie werden die Fasern verwertet und verarbeitet?

Wir lehren hier, wie man die Wolle noch händisch verarbeiten kann, alles mit traditionellen Werkzeugen. Wir haben die alten Spinnräder und auch Kardiermaschinen, damit die Schüler die Techniken von der Pike auf lernen.

Ganz ohne Maschinen geht es heute nicht, und das ist auch gut so, denn sie erleichtern uns unsere Arbeit immens. Wir haben bei uns in der Werkstatt sehr alte Maschinen. Sie leisten gute Arbeit und sind unkompliziert. Wir brauchen keinen Techniker, sondern können selbst reparieren.

Wir verarbeiten und veredeln die Wolle immer noch so wie früher. Zunächst wird die Rohwolle gezupft, was der Auflockerung der Fasern und der Vorbereitung für das Spinnen und Filzen dient.

Danach kartieren wir die Wollfasern mit Hilfe der manuell angetriebenen Kardiermaschine. Bei diesem Kämmvorgang werden die Wollfasern auseinandergezogen, geordnet und gleichmäßig ausgerichtet. Im nächsten Schritt wird das so entstandene Wollvlies zu Faden gesponnen.

Mit den Füssen wird das Spinnrad angetrieben und gleichzeitig mit den Händen das Wollvlies vorsichtig auseinandergezogen. Durch das Verdrehen der Fasern ansteht ein fester Faden, der dann auf eine Garnrolle aufgewickelt wird. Das Spinnen ist also das Aneinanderfügen von losen, relativ kurzen Fasern, die durch Drehung zusammengehalten werden.

Aus der Rohwolle wird außerdem Filz hergestellt, aus dem in der Wollmanufaktur beispielsweise Hausschuhe oder Sitzkissen hergestellt werden. Dazu werden die Fasern gewalkt und unter Einwirkung von feuchter Wärme, Druck und Seife dicht verschlungen. Die Schafwollhaare haben winzig kleine Schuppen, die sich im warmen Seifenwasser öffnen. Durch das Walken verhaken sich die Haare und das Vlies verfilzt.

Wie funktioniert die Verarbeitung des Flachses?

Vom Flachs verarbeiten wir die langen Stängel, die die Flachsfasern bilden. Früher wurde der Flachs mit Stumpf und Stiel per Hand ausgezogen, heute kommt die Flachsraufmaschine zum Einsatz. Aufbereitet wird der Flachs dann durch brechln, hacheln, spinnen und färben.

Früher wurde der Leinen im Winter auf dem Schnee ausgebreitet und so natürlich gebleicht, besonders in hellen Vollmondnächsten hat dies gut funktioniert.

Die Festigkeit des aus dem Flachs entstehenden Leinenstoff ist belastbarer als alle anderen Fasern. Die glatte Oberfläche der Leinenfaser ist relativ schmutzunempfindlich und völlig Flusen frei. Die Vorhänge hier im Haus sind alle aus reinem Leinen, selbst gesponnen, gewebt und geschneidert. Ein wunderschön robuster Stoff.

Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, sich auf die traditionellen Produktionsweisen zurückzubesinnen?

Ich glaube der Mensch kommt erst wieder in Verbindung mit einem Kleidungsstück, wenn er es einmal selbst hergestellt hat. Wenn wir etwas mit unseren eigenen Händen gestalten und die Schritte der Entstehung miterleben, dann schätzen wir das Resultat viel mehr. Das Bewusstsein für die Rohstoffe und vor allem die aufgewandte Zeit wird gestärkt. Ich erlebe immer wieder in der Winterschule, wie stolz die Menschen sind, wenn sie etwas mit den eigenen Händen erschaffen haben.

Ein wachsender Teil der Gesellschaft interessiert sich wieder für natürliche Fasern und fragt diese Produkte aus regionaler Herstellung nach. Sehen sie diese Tendenz auch? 

Ja, die Leute fragen immer mehr regional Produziertes nach. Auch viel Hotels in Südtirol richten sich mit unseren Produkten ein. Und wenn die Gäste die Produkte im Hotel sehen, dann wollen sie davon auch etwas mit nach Hause nehmen. Sie kommen dann zu uns in die Manufaktur und staunen, welche Vielfalt wir inzwischen anbieten.

Es kommen jetzt auch viele junge Menschen zu uns in die Winterschule und zu unseren Seminaren. Sie sind wieder interessiert an der Natur und an natürlicher Kleidung. Ich sehe auch den Trend, dass die Menschen mehr Interesse am Thema Achtsamkeit haben.

Heute hat die Kleidung aus Wolle den Ruf als ‚Öko-Alternativ-Kleidung‘ verloren. Auch Sport- und Outdoorbekleidung ist jetzt sehr oft aus Wolle. Diese Naturfaser hat wieder einen ganz anderen Stellenwert. Aber es sind noch viel zu wenige Menschen, die sich wirklich Gedanken über die Herkunft ihrer Kleidung machen und den wertvollen Einfluss auf die Gesundheit erkannt haben.

Auch im Wohnbereich werden vermehrt Naturmaterialien verwendet.

Für mich ist unser Wohn- und Schlafbereich wie unsere dritte Haut. In unserer Sozialgesellschaft produzieren wir aus Wolle Matratzen und andere Wohnaccessoires. Wir brauchen unsere Wohnungen nicht vollstopfen, lieber ein paar Einrichtungsgegenstände weniger, aber dann gesunde, natürliche Rohstoffe. Wir verbringen circa ein Drittel unseres Lebens im Bett. Wir schwitzen jede Nacht Giftstoffe aus. Wenn wir Wollmatratzen nutzen, dann saugt die Wolle die Feuchtigkeit auf und gibt sie an die Luft weiter. Das Bett reinigt sich selbst.

Wie können wir den Flachsanbau und die Wollproduktion weiter vorantreiben, sodass wir diese Fasern wieder als festen Bestandteil in der Textilherstellung etablieren können?

Ich denke, dass die Faserverarbeitung, wie wir sie hier im Ultental betreiben, eher eine Nische bleiben wird. Wir wollen und können gar nicht den Weltmarkt bedienen. Aber wir müssen dafür appellieren, die Wertschätzung für die Kleidungsstück aus der Natur zu erhöhen, so dass die Konsumenten bereit sind, für solch hochwertige Kleidung mehr auszugeben. Es muss Achtsamkeit gelebt werden. Es muss das Verständnis für die Herstellung wieder aufleben und dem Landwirt muss ein fairer Preis für die Rohstoffe gezahlt werden. Wenn die Nachfrage steigt, dann wird es automatisch geschehen, dass mehr angebaut wird und die regionalen Wertschöpfungsketten wieder genutzt werden. Es muss dort wieder hingehen, dass wir ein paar hochwertige Kleider im Schrank haben und schätzen, dass sie von hohem Gesundheitswert sind. Am Ende entscheidet immer der Verbraucher, in welche Richtung wir uns bewegen.

Sie haben es hier wirklich geschafft, das bäuerliche Kulturgut zu bewahren. Wie sieht das Ultental in 30 Jahren aus?

Ich wünsche mir, dass die Werte, wie wir sie hier jetzt leben, immer mehr steigen. Es hat sich viel getan in den letzten Jahren. Wir haben es geschafft, die Menschen wieder für die Natur und die Traditionen zu sensibilisieren. Aber wir müssen auch loslassen und uns auf Neues einlassen. Ich bin immer zuversichtlich, dass es sich gut weiterentwickeln wird.

 

Weitere Informationen findest du hier:

Interview und Text: Ilka Tempel einfach-tempel.de
Fotos: Alexander Tempel einfach-tempel.de
Produziert im Auftrag von Sarina Sievert für hiddenland.de

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“Kein Tier wird für die Lederherstellung gehalten”

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