Textilkreisläufe und Circular Design
Teil 1: “The future of making” - Circular Design Deep Dive II Workshop im FabCity-Haus Hamburg
(Der Circular Design Deep Dive 2 Workshop war eine Maßnahme des Interfacer Projektes, das durch die Europäische Union finanziert worden ist und im Rahmen der “future of making” -Konferenz stattfand. Organisiert wurde er von der Fab City Hamburg in Kooperation mit der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) Hamburg.)
von Kathrin, März 2023
Das Wetter Mitte Februar ist grau, aber die Stimmung ist angeregt. In den Räumen von FabCity Hamburg e.V. haben sich über 30 Menschen eingefunden, denen Textilwirtschaft am Herzen liegt - Stoffproduzent:innen, Designer:innen, Startups, Modelabels, Vertreter:innen von kleinen und großen Recyclingunternehmen und Behörden. Sie alle wollen etwas bewegen und verändern. An diesem Tag, in diesem Workshop drehte sich alles um Zirkularität und die dazugehörigen Daten. Aber was bedeutet Zirkularität, und bedeutet es für alle Teilnehmenden das gleiche? Und welche Rolle kann ein digitaler Produktpass dabei spielen?
Der Digitale Produktpass und Zirkularität im Textilbereich
Die Digital Product Passport-Initiative ist eine Schlüsselmaßnahme des Circular Economy Action Plan (CEAP) der EU. Der Digital Product Passport (DPP), den die EU ab 2026 u.a. für Textilien einführen will, soll Daten über ein Produkt und dessen Lieferkette sammeln und allen Akteur:innen in der Lieferkette zugänglich machen. Durch die so erzielte Transparenz sollen nachhaltige Produktion, zirkuläre Geschäftsmodelle, informierte Kaufentscheidungen der Konsument:innen sowie Konformität des Produktes mit gesetzlichen Verpflichtungen gleichermaßen gewährleistet werden und jederzeit einsehbar sein.
Im Workshop ging es um folgende Fragestellungen:
Wie kann Zirkularität durch bessere Daten und Informationsaustausch gefördert werden?
Welche Herausforderungen kann es bei dem Datenaustausch geben, der für den Digital Product Passport erforderlich ist?
Was braucht es ggf. an Unterstützung für die einzelnen Akteur:innen, damit das Ganze gut funktioniert?
Stationen der Textilwirtschaft
Die Teilnehmenden wurden vom Moderator in neun Gruppen eingeteilt, die sich an den verschiedenen Stationen im Textilkreislauf orientieren. - Rohmaterialien (bis zum Garn), Stoffproduzent, Design, Produkt-Herstellung, Shop, Konsument, Änderungsschneiderei / Reparatur, 2nd Hand / Retail, Recycling.
Die Einbindung von Kleinstunternehmen war den Organisatoren hierbei besonders wichtig. Änderungsschneidereien oder Repair-Cafés beispielsweise sind von großer Bedeutung für zirkuläre Wirtschaft - allerdings sind sie meist analog aufgestellt. Ein Digitaler Datenfluss muss aber auch diese Stationen im Blick haben und berücksichtigen.
Jede Gruppe besprach, welche Informationen sie für ihre Arbeit brauchte, von wem sie diese Information bekommen konnte, und an welche nachfolgenden Stellen im Kreislauf sie Informationen ggf. weitergeben muss. Anschließend wurden die Ergebnisse auf Zetteln aufgeschrieben und am Boden des Workshopraumes visualisiert. Verbindungen wurden dabei mit Tape markiert.
Ich selbst war in der Rohstoff-Gruppe, also sozusagen am Anfang des Kreislaufs (wenn man denn bei einem Kreislauf einen Anfang und ein Ende definieren möchte).
Vielschichtig und komplex - darüber wurde diskutiert
In der Rohstoff-Gruppe kam sofort eine intensive Diskussion auf, in deren Verlauf uns klar wurde, wie vielschichtig und komplex das Thema ist - unmöglich, das alles an einem Nachmittag abzudecken. Hier nur eine kleine Auswahl:
Was ist mit dem Begriff “Textilkreislauf” verbunden - meint das ausschließlich Kreislauf mit Recycling oder schon den cradle-to-cradle / soil-to-soil-Ansatz? Es schien uns, als ob nicht alle vom gleichen reden, wenn es um Kreislauffähigkeit geht.
Welche Daten sollten im DPP abgebildet sein? Reichen die Faserart und Informationen zur biologischen Abbaubarkeit? Sind auch soziale und Umweltstandards bei der Herstellung von Bedeutung?
Ist superwash-behandelte Wolle eigentlich recyclingfähig? Muss dann das verwendete Verfahren im DPP ablesbar sein (wegen eventueller Verwendung von Harzen / Kunststoffen)?
Sind Aspekte wie faire Bezahlung und Umweltbelastung (Verwendung von Pestiziden bei der Herstellung) relevant für den DPP? Wenn ja: muss das Jahrgangs- oder Chargenspezifisch sein? Art und Umfang des Pestizid-Einsatzes kann je nach Wetterlage oder Schädlingsaufkommen variieren - enthält der DPP reale Werte oder “statistisch ermittelte” Werte?
Wie ist das z. B. bei Schafen und für das Tierwohl erforderlichen Medikamenten (Ektoparasitenmitteln bzw. Entwurmungsmitteln)? Diese landen über Ausscheidungen oder durch Auswaschen bei Regen auch im Boden (so wie beim Menschen auch). Welche Auswirkungen haben die Medikamente im Boden bzw. müssen diese berücksichtigt werden?
Ist es z.B. bei Wolle und dem Verkauf über Broker und Zwischenhändler überhaupt möglich, die Faser bis zur Farm (= Erzeuger) zurückzuverfolgen? Wie wird Rückverfolgbarkeit gewährleistet, wenn Batches gemischt werden, um eine gewünschte Qualität zu haben?
Ergebnisse: Action, Locality, Collaboration
Am Ende rauchten uns allen die Köpfe und nicht nur unserer Gruppe fiel es schwer, nur drei Punkte als Ergebnis zu präsentieren. Station für Station wurden Ergebniszettel gesammelt, geordnet abgelegt und Verbindungen mit Tape gekennzeichnet. Es war schon faszinierend zu sehen, welche Gedanken aus den anderen Gruppen zusammenkamen und wie sich alles im großen Bild zusammenfügte. Alles in allem habe ich diese Punkte mit nach Hause genommen:
Ganz viel Information läuft bei den Designer:innen zusammen. Sie hatten in unserer Darstellung buchstäblich alle Fäden in der Hand.
Das Thema ist sehr komplex. Das betrifft nicht nur die Logistik, sondern auch die Kontaktpunkte zwischen allen Stationen. Mit jedem Verarbeitungsschritt erhöht sich das Level der Komplexität für das fertige Textil, bevor es z.B. beim 2nd Hand Retailer oder beim Recycling landen kann (man denke nur an unterschiedliche Waschmaschinen bei den Verbraucher:innen, kombiniert mit unterschiedlichen Waschmitteln…).
Was ein Recyclingunternehmen wissen muss, ist evtl. nicht das gleiche, was der Verbraucher wissen will.
Aus meinem beruflichen Umfeld drängt sich mir der Vergleich zu Pharma-Logistik und dortigen Anforderungen an die Transparenz der Lieferkette auf. Zwar ist bei der Herstellung von Medikamenten nicht die Transparenz dem Verbraucher gegenüber wichtig (eher der Aufsichtsbehörde gegenüber). Aber die Rückverfolgbarkeit von Chargen ist ein sehr großer Aufwand, bei der Zertifikate und Audits eine große Rolle spielen, aber auch Vertrauen zu Lieferanten und Herstellern. Am Ende hat alles seinen Preis. Werden Textilien teurer durch den DPP?
Am nächsten Tag wurden die Ergebnisse dieses Deep Dive Workshops nochmals aufbereitet, zusammengefasst und auf der Tagung präsentiert:
Data for action, not for knowledge. (Ich interpretiere das so, dass Daten im DPP nicht der allgemeinen Aufklärung dienen sollen, sondern jeden Akteur der Lieferkette in seinem Feld handlungsfähig machen sollen).
Locality is important (Die meisten Lieferketten sind heute global. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist vor allem dieser Punkt wichtig, denn Konsument:innen in ihren sozialen Strukturen, Netzwerken und Initiativen (Repair-Cafes, Änderungsschneidereien) funktionieren lokal. Und auch bei Designer:innen ist das relevant: Wo können sie lokale Materialien beziehen, woher erfahren sie davon? An wen kann ein Designer seine Produktionsabfälle verkaufen zum Recyceln / Upcyceln etc. (pre-consumer waste)?)
Circularity needs new forms of collaboration (Hierzu muss an jeder Stelle im Kreislauf jede andere Stelle mitgedacht werden. Das gilt sowohl innerhalb von Betrieben (vor allem solche mit Silo-Strukturen) als auch zwischen Betrieben an unterschiedlichen Stellen im Kreislauf.)
Mein Fazit - Designer:innen haben eine Schlüsselrolle, und was genau ist “Zirkularität”?
Am Ende dieser beiden Tage habe ich zwei Gedanken mit nach Hause genommen.
Gedanke Nr. 1: Die Designer:innen haben die Fäden in der Hand. Obwohl ich da vorher auch schon eine Ahnung hatte, ist mir das in diesem Workshop durch die Visualisierung nochmal auf eine ganz andere Art klar geworden. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich kreislauffähigen Produkten und zirkulären Geschäftsmodellen zu nähern: von den vielen Saisons wegkommen, zeitlose Stücke kreieren. Zero-Waste-Design, Produktion on-demand…Aber es muss eben von Anfang an mitgedacht werden.
Gedanke Nr. 2: Zirkularität ist nicht gleich Zirkularität. Offenbar verstand beim Workshop jede:r ein bißchen was anderes darunter. Meine Assoziation ist dabei immer das “soil-to-soil”-Prinzip, das ja der Grundgedanke von Fibershed ist. Im Workshop war aber das Ziel, Textilien “so lange wie möglich im Kreislauf zu halten”, und damit war gemeint: lange tragen (2nd hand), reparieren und recyceln. Das ist nicht soil-to-soil-Zirkularität, das sind zwei Paar Schuhe. Fibershed NL hat dazu eine sehr passende Grafik erstellt:
Was aber auch wichtig wäre, liebe EU bzw. liebe umsetzende Länder: Denkt bei der Umsetzung des DPP nicht nur in großem Industriemaßstab, sondern auch an Soloselbständige und andere kleine Unternehmen und baut keine neuen Hürden auf. (Wer ein kleines Unternehmen hat und an die neue Verpackungsrichtlinie und Österreich denkt, weiß, was ich meine). Wir alle müssen zirkulär denken, nicht nur die Umsetzenden.
Links und Ressourcen
https://www.circularise.com/blogs/digital-product-passports-dpp-what-how-and-why
https://ec.europa.eu/environment/publications/proposal-ecodesign-sustainable-products-regulation_en
https://ec.europa.eu/environment/publications/textiles-strategy_en
the future of making conference
und hier gibt es ein youtube-Video zur Konferenz.