Warum ausgerechnet Naturfarben?
Ein Interview mit Anne Scheidegger aus dem Team Fibershed DACH zum Thema Naturfarben
von Kathrin, Juni 2023
Anne Scheidegger hat 25 lange Jahre in der IT-Branche gearbeitet - als Programmiererin, Projektleiterin und Geschäftsführerin. Heute interessiert sie sich für alles, was mit der Färberei zu tun hat und leitet unsere Fachgruppe Färben. Wie sie dazu gekommen ist, was Naturfarben mit Gemüsekisten gemeinsam haben und an welchem Traum sie gerade arbeitet, das erfährst Du in diesem Artikel.
Liebe Anne, wie kommt man denn von der IT zu den Naturfarben?
Das hat sich für mich ganz langsam eingeschlichen, glaube ich. Erst habe ich in meiner Freizeit Podcasts über das Färben gehört und auf Instagram Posts zum Pflanzenfärben gesehen. Da hatte ich irgendwann einfach Lust, das auszuprobieren. Durch das Ausprobieren taten sich dann auf einmal viele Fragen auf, ich kaufte Bücher, um sie zu beantworten, und so führte eins zum anderen und ich stieg tiefer in das Thema ein.
Dann kam Corona, und auf einmal ergaben sich für mich völlig unerwartet viele neue Möglichkeiten. Kurse im Pflanzenfärben, die sonst nur an weit entfernten Orten gehalten wurden (z. B. in Kalifornien, in Mali), konnte ich auf einmal online machen. Dorthin zu reisen, wäre mir nicht möglich gewesen.
Zwar hatte ich auch in meiner Kindheit Kontakt zu textilen Techniken: meine Großmutter war Handweberin und zeigte mir auch das Färben mit Walnuss-Schalen. Die braune Farbe fand ich damals allerdings zugegebenerweise nicht so aufregend. Gleichzeitig wurde mir auch mit auf den Weg gegeben: Die Textilbranche ist kein Beruf für mich, in dem kann man nicht viel Geld verdienen. Und das, obwohl mein Ururgroßvater und Urgroßvater beide Schneider waren.
Irgendwann wurde mir klar: Wir haben vergessen, dem nachzugehen, woher das Material kommt, woher die Farbe kommt, und wer das Kleidungsstück am Ende macht. Und man muss sich auch immer vor Augen halten, dass selbst in den Zeiten der textilen Massenproduktion am Ende immer noch jedes Kleidungsstück von Hand gemacht ist.
Warum Naturfarben? Was fasziniert oder inspiriert Dich daran besonders?
Da gibt es gar nicht Den Einen Grund. Mich bewegt die Tatsache, dass Textilfarben allgemein ein Riesenproblem sind. Ungefähr 20% der Wasserverschmutzung geht auf die Textilindustrie und dabei hauptsächlich auf die verwendeten Farben zurück. Gleichzeitig ist es aber nur sehr schlecht erforscht, was Textilfarben mit uns und unserer Umwelt machen, welchen Einfluss z. B. ihre Herstellung auf die Umwelt hat, wie sie sich beim Tragen auf der Haut verhalten (werden sie absorbiert? Was macht das mit dem Körper?). Und was passiert eigentlich, wenn das gefärbte Kleidungsstück weggeschmissen wird – werden die Farbstoffe dann abgebaut oder bleiben sie für lange Zeit im Boden?
Ob Naturfarben besser sind als andere Farben (z. B. GOTS-zertifizierte synthetische Farben), weiß ich nicht, es interessiert mich aber brennend. Naturfarben finde ich persönlich sehr schön, und im Moment möchte ich damit arbeiten, weil ich weiß, woher sie kommen.
Die Arbeit mit Naturfarben erlaubt mir, zu erzählen, woher die Farbe kommt, viele Fragen aufzuwerfen und mit Menschen schnell in ein Gespräch über alle wichtigen Fragen rund um Textilien und die derzeitige Situation zu kommen. So kann ich diese Themen für alle sichtbar machen.
Ich möchte Menschen, die sich von Fast Fashion verabschieden wollen, eine Alternative anbieten.
Woran arbeitest Du gerade, was sind Deine Pläne?
Gerade arbeite ich am Betriebsaufbau für meine Färberei. Konkret suche ich nach einem Gewerberaum und Maschinen. Dann kommen die ganzen bürokratischen Schritte: Bewilligungen einholen, Buchhaltung und so weiter.
Parallel arbeite ich an Tests für eine T-Shirt Herstellerin, die bei mir färben lassen möchte. Und ich führe auch Tests für Mira Durrer durch. Mira entwickelt eine Stoffkollektion und arbeitet mit Swiss Flax. Meine Kunden sind Menschen aus dem Fibershed-Ökosystem, die alle dieselbe Vision haben wie ich. Und weil alles regional ist, kommt man viel leichter ins Gespräch und in Kontakt, und es ergeben sich wunderbare Verbindungen. So hat z.B. die Schweizer Designerin Livia Naef einen Mantel aus einem Stoff gemacht, der aus der Elbwolle hergestellt wurde - den trage ich super gerne, denn er ist einfach ein Produkt dieser Verbindung. So sind wir alle verbunden - die Schafe an der Elbe, Ute Luft und die Elbwolle-Produktion, die sie aufgebaut hat, eine Schweizer Designerin, und ich.
Und ich habe noch ein Färberpflanzenprojekt für Fibershed gestartet, mit dem wir evaluieren wollen, welche Färberpflanzen sich für den einfachen Anbau bei Schweizer Landwirtschaftsbetrieben eignen, ob sie damit ein Zusatzeinkommen generieren können, und ob die Nachfrage dafür bei den regionalen Färbereien vorhanden ist. Dadurch erhoffe ich mir, ohne Extrakte aus unbestimmten, außereuropäischen Quellen auskommen zu können. Denn ich habe zwar Färberpflanzen auf meinem Stadtbalkon und bei all meinen Freundinnen und Verwandten, die ein unbenutztes Beet haben, aber damit kann ich natürlich nur private oder sehr kleine Projekte färben.
Gibt es regionale Farben, die Dir zur Verfügung stehen und die Du besonders schätzt?
Bei Naturfarben kommt es immer auf die Mengen an, die man färben möchte. Bei kleinen Mengen steht Dir die Welt offen und es gibt sehr viele Möglichkeiten. Will man aber größere Mengen Material färben, so wie ich es ja vorhabe, dann reduziert sich das sofort auf wenige Pflanzen mit viel Farbstoff und guter Lichtechtheit. Übrig bleiben dann meist Reseda für gelb (eine zweijährige Pflanze, die einfach zu ernten ist), Krapp für rot (eine etwas schwierige Pflanze, denn sie muss 3 Jahre im Boden bleiben, bevor sie geerntet werden kann), und Indigo für blau (z. B. im Färberwaid oder dem Japanischen Färberknöterich).
Ich möchte aber auch abseits davon schauen, ob ich z. B. Tannine verwenden kann, die in Abfällen der lokalen Forstwirtschaften anfallen. Tannine sind vor allem für das Färben von Zellulosefasern unabdingbar. Ich prüfe auch, ob in Zusammenarbeit mit Gemüsemärkten oder lokaler Gastronomie die Verwendung von Küchenabfällen wie Avocado-, Granatapfel- oder Zwiebelschalen eine Option wäre. Auch Abfälle aus dem Gartenbau, z.B. nach dem jährlichen Obstbaumschnitt, sind gut verwendbar. Allerdings gibt es noch viele Dinge, die ich austesten muss – wie lagert man große Mengen Zwiebelschalen oder Apfelbaumrinde, dass sie nicht faulen? Wie sammelt man große Mengen Avocadokerne ein?
Manche regionalen Farben bringen auch einen saisonalen Aspekt mit sich - Apfelbaumrinde fällt eben nur Ende des Winters nach dem Obstbaumschnitt an und nicht das ganze Jahr über. Dementsprechend gibt es diese Farbe dann auch nur zu dieser Zeit. Es ist ein bißchen so wie bei einem Gemüsekisten-Abo, Bottom-up-Design quasi: Welche Materialien stehen mir zur Verfügung, und was kann ich daraus machen? Ob ich Brands und deren Endkunden dafür gewinnen kann, sich für solche Saison- und Jahrgangsfarben zu begeistern, möchte ich mit meiner Arbeit herausfinden.
Kann man Naturfarben auch im großen Maßstab verwenden? Welche Besonderheiten haben Naturfarben?
Ja, das kann man, aber wie oben schon gesagt, reduziert sich dann die Farbpalette etwas. Naturfarben sind am Ende landwirtschaftliche Produkte (so wie die Fasern auch), die entsprechende Anbauzyklen durchlaufen. Wie bereits gesagt, Reseda braucht zwei Jahre, und Krapp muss mindestens 3 Jahre im Boden bleiben, bis der Farbstoffgehalt und somit die Ausbeute ausreicht. In diesen Zeiträumen kann keine andere Pflanze auf dieser Fläche angebaut werden.
Schon bei der Ernte ist das mit den Naturpflanzen in größerem Maßstab nicht immer so einfach. Für das Ernten von Blüten z.B. sind andere Ernteverfahren erforderlich als für Wurzeln oder ganze Pflanzen. Der Landwirt / die Landwirtin muss sich damit auskennen, und auch das anschließende Trocknen der Pflanzen erfordert spezielles Wissen, Investitionen in Maschinen und Anlagen, und den Willen, das auch umzusetzen. Das macht den Rohstoff “Naturfarbe” durchaus auch teuer.
Das Färben mit Naturfarbstoffen ist nicht so leicht reproduzierbar wie das mit synthetischen Farbstoffen. Das liegt daran, dass zum einen in den Pflanzen ein Gemisch von Farbstoffen für die Farbe verantwortlich ist, wo hingegen bei synthetischen Farbstoffen ein Farbstoff isoliert ist. Zum anderen kann sich die Zusammensetzung dieses Gemisches von Jahr zu Jahr und von Anbaugebiet zu Anbaugebiet ändern - so wie man es von Wein ja auch kennt. Wenn ein Kunde also mit dem Anspruch zu mir kommt, einen genauen Farbton verlässlich wieder und wieder reproduzieren zu können, wird es schwierig. Auch die Skalierbarkeit ist nicht die gleiche - einfach weil nicht immer genug Färberpflanzen angebaut werden können und manche ja auch erst nach mehreren Jahren geerntet werden können.
Daher braucht es für Naturfarben auch Leute, die das unbedingt machen wollen, denn es ist schon ein anderes Arbeiten als mit synthetischen Farbstoffen. Wer keine Unikate herstellen will und auf Reproduzierbarkeit setzt, hat die Möglichkeit, mit Extrakten zu arbeiten. Dennoch ist das Arbeiten mit Naturfarben gänzlich anders als das Arbeiten mit synthetischen Farben - Naturfärber*innen können nun mal nicht mit Pantone-Karten arbeiten. Aber Naturfarben ermöglichen Gespräche über den Herstellungsprozess. So kann man ja darüber sprechen, ob es wirklich Farben des Jahres braucht und ob man mit zeitlosen Farben nicht auf lange Sicht besser fährt. Und dass Farbe ein Luxus ist und ob man die Naturfarben der Fasern, insbesondere die verschiedenen Brauntöne der Schafwolle und auch die natürlich farbigen Baumwollarten besser nutzen könnte.
Meine Vision für meine Färberei ist eine eher kleinräumige: z. B. ein Schweizer Shirt mit Schweizer Leinen und gefärbt mit Schweizer Naturfarben. Durch diese räumliche Reduktion passiert auch automatisch eine Mengenreduktion. Ich will mit meiner Färberei herausfinden, wo die machbare Menge für eine lokale Produktion liegt.
Wenn Du einen Wunsch freihättest oder etwas in der Welt ändern könntest - was wäre das?
Ich wünsche mir, dass Menschen sich wieder mehr Zeit nehmen für Entscheidungen und mehr hinterfragen. Naturfarben auf Wolle oder Bastfasern werden mit giftigen Stoffen weggebleicht und wieder eingefärbt. Gibt es da nicht einen besseren Weg? Muss ich meine Kleidung wirklich mit aggressiven Waschmitteln waschen? Kann man mit Flecken nicht auch kreativer umgehen, als das Kleidungsstück wegzuwerfen oder zu bleichen? Kann ein Kleidungsstück nicht auch eine Patina bekommen über die Zeit?
Liebe Anne, vielen Dank für das Gespräch!