Teppich oder Halsschmeichler - Was kann regionale Wolle?
von Kathrin, Januar 2023
Ich bin ein Stadtmensch. Als ich anfing, mich mit regionaler Wolle zu befassen, stand ich sofort vor einem Problem: Ich wusste nicht, wie ich an sie herankommen konnte. Ich kannte keine Schafhalter:innen, wusste auch nichts von einem Schafhalterverband, und da ich zu dem Zeitpunkt auch nicht in einschlägigen sozialen Netzwerken unterwegs war, wusste ich auch nicht, wohin ich mich wenden konnte.
Vor einem ähnlichen Problem stehen vielleicht auch diejenigen, die im Textilbereich arbeiten und gerne regional produzierte Fasern verwenden würden. Welche Eigenschaften hat eigentlich die lokale Wolle? Wie bekommt man Zugang zu Wolle mit transparenter Lieferkette, regional und fair produziert? Wie können regionale Lieferketten für deutsche, österreichische, Schweizer Wolle entstehen?
Regionale Wolle Be-Greifen - ein Workshop
So kam die Idee für einen Workshop auf, der sich genau um Wolle von regionalen Schafrassen dreht. Ein Workshop, in dem es darum geht, die Eigenschaften regionaler Wollen kennenzulernen, und in dem auch die Möglichkeit besteht, sich mit Produzent:innen oder Verarbeiter:innen aus der Region zu vernetzen.
An einem Juni-Wochenende 2023 war es dann soweit: Textilinteressierte Menschen folgten der Einladung von Textildesignerin Nicole Kiersz und fanden sich in den Räumen von House4All in Hamburg zusammen. Die Teilnehmenden kamen aus den unterschiedlichsten Bereichen: Bildung / Pädagogik, Wissenschaft, Textildesign bis hin zu Schafhalter:innen und einem Spinnereibetreiber. In diesem Artikel habe ich schon einmal von diesem Workshop berichtet.
In zwei Impulsvorträgen ging es zunächst um Erfahrungen und Herausforderungen beim Verarbeiten regionaler Wolle. Schirm und Strauch stellten ihre Arbeit an einem zweijährigen Projekt vor, das vom Aufarbeiten der Rohwolle bis zur Verarbeitung daraus gesponnener, nicht genormter Fäden zu textilen Flächen auf Webstuhl und Strickmaschine reichte. Ich (Kathrin) aus dem Fibershed Team stellte anschließend das Skudde-Projekt von Fibershed DACH vor und berichtete von fragmentierten Lieferketten und Herausforderungen bei der Verarbeitung von Landschafrassen-Wolle.
Im anschließenden praktischen Teil konnten sich alle Teilnehmenden mit Wollen regionaler Schafrassen wie Skudde, Rauhwolliges Pommersches Landschaf, Merinofleischschaf und Rhönschaf vertraut machen. Im Umgang mit der Wolle, im Be-Greifen und Fühlen der Fasereigenschaften überlegten wir gemeinsam, was das für Eigenschaften sind und wie man sie am besten nutzen könnte. Dabei haben wir uns mit den folgenden Fragen beschäftigt:
Muss Wolle immer weich sein?
Welche Eigenschaften hat regionale Wolle überhaupt?
Für welche Produkte wären diese Eigenschaften ideal?
Viele neue Fragen und die Erkenntnis: Vernetzung ist wichtig
Am Ende warf jede beantwortete Frage wieder neue Überlegungen auf, die aufgegriffen und weiter diskutiert werden wollen. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass
Wolle nicht immer nur weich sein muss und
es vielleicht sinnvoller ist, zu schauen, wofür sich vorhandene Wollsorten am besten eignen, bevor man sie als “zu kratzig” entsorgt.
Als besonders wertvoll wurden die Erfahrungsberichte und der direkte Austausch der Teilnehmer:innen vor Ort eingeschätzt. Dadurch konnten sich die ersten Akteure schon vernetzen.
Ein weiterer wichtiger Punkt war auch das haptische Erlebnis, das Be-Greifen der Wolle und ihrer Eigenschaften. Denn darin waren sich die Teilnehmenden einig: Ein bottom-up-Ansatz, bei dem man von den Eigenschaften der Wolle ausgehend mögliche Produkte entwickelt, ist im Falle regionaler Wollen wesentlich sinnvoller, als sie mit aufwändigen Verfahren weicher machen zu wollen.
Regionale Wolle im DACH-Raum – eine Bestandsaufnahme
In der Abschlußrunde des Workshops sammelten wir Begriffe, die das haptische Gefühl der verschiedenen Wollen am besten beschrieben. Die Erfahrungen mit den präsentierten Rassen bildeten ein recht breites Spektrum ab und reichten von “weicher”, “flauschig” und “wie Butter” bis hin zu “trocken, fettig”, “robust” und “von fluffig zu drahtig”. Die Fasern wurden also sehr unterschiedlich wahrgenommen. Aber wie kommt das eigentlich?
Warum ist manche Wolle kratzig?
“Wolle ist kratzig” – dieses Bild haben viele Menschen im Kopf, wenn sie an deutsche Wollen denken. Ist das aber wirklich so? In unserem Workshop waren die meisten Teilnehmer:innen jedenfalls überrascht, wie weich sich auch “raue” Wollen anfühlen, wenn man sich einmal darauf einläßt (auch wenn deutsche Wolle nicht mit Kaschmir zu verwechseln ist).
Warum wird Wolle eigentlich als kratzig empfunden, und woran liegt es, dass manche Wolle kratzig ist und andere nicht?
Schauen wir uns zuerst an, warum Wolle als kratzig empfunden wird. Wenn Wollfasern (z.B. weil sie aus dem Garn herausragen) auf unsere Haut treffen, üben sie einen kleinen Druck auf die Haut aus. Dieser Druck wird von den Nervenzellen in der Haut aufgenommen und an das Gehirn weitergeleitet. Wenn diese Faser nun relativ dick und steif ist, wird dieser Druck-Reiz größer sein als bei einer dünnen, sehr biegsamen Faser. Tendenziell kann man also sagen, je feiner die Faser, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass die Wolle kratzt.
Manchmal ist das Kratzen auch ganz einfach auf eine einzelne Faserart zurückzuführen, nämlich auf die Stichelhaare (dieser Begriff ist wohl selbsterklärend). Diese Fasern sind kurz und sehr steif und kommen häufig z.B. bei mischwolligen Schafen vor. Die Aufgabe der Stichelhaare ist es, eine Art von Gerüst zu bilden für die flauschige Unterwolle, die das Schaf warm hält. Schafe wie das Merino wurden daraufhin gezüchtet, am besten gar keine Stichelhaare mehr zu enthalten und somit eine als besonders weich empfundene Wolle zu haben.
Der sogenannte Prickel-Faktor kann übrigens sogar gemessen werden. Das entsprechende Messgerät dafür ist ein Wool Comfort Meter. Dieses Gerät bestimmt im Grunde genommen die Anzahl der abstehenden Faserenden auf einer gegebenen textilen Fläche (und ggf. noch ihren Durchmesser). Der ausgegebene Messwert ist der Wool Comfort Factor (quasi die “Maßeinheit der Weichheit”). Er gibt den Anteil an Fasern einer Probe an, die feiner als 30 µm (bzw. 28 µm für gewebte Textilien) sind. Je niedriger die Zahl, desto angenehmer ist das Textil auf der Haut.
Ob ein fertiges Produkt aus Wolle als kratzig empfunden wird oder nicht, hängt auch maßgeblich davon ab, wie die Fasern verarbeitet wurden. Viel Drall kann auch die weichste Faser zu Paketband oder Pfeifenputzergarn werden lassen.
Herausforderungen bei der Verarbeitung regionaler Wolle
Welchen Weg kann man nun beschreiten, wenn man regionale Wolle verarbeiten (lassen) möchte? Welche Möglichkeiten gibt es, und wo trifft man auf Hindernisse?
Wollqualität
Wer schon einmal Wolle in einer (regionalen) Spinnerei hat verarbeiten lassen, der wird wissen, dass eine Spinnerei nicht jede Wolle annimmt. In der Regel gibt es Anforderungen an die Qualität der Fasern, die dort auf den Maschinen verarbeitet werden kann. Dazu gehören z.B. die Faserlänge und die Feinheit, aber auch der Gehalt an Wollfett oder Vegetabilien (z.B. Heu- und Futterreste, die beim Waschen nicht entfernt werden konnten). Sind die Fasern zu lang, zu kurz, zu grob oder zu stark mit Vegetabilien verunreinigt, führt das zu Problemen bei der Verarbeitung und mit den Maschinen.
Schafe, bei denen die Wolle auf Gleichförmigkeit gezüchtet wurde (z.B. bei den hiesigen Merinorassen, aber auch andere Fleischschafrassen wie Suffolk), geben Wolle mit relativ gleichmäßiger Faserlänge und ausreichender Feinheit über das gesamte Vlies. Solche Wolle kann gut verarbeitet werden.
Aber was ist mit Landschafrassen? Deren Wolle ist nicht so fein und auch nicht so gleichförmig in Hinsicht auf die Faserlänge innerhalb eines Vlieses. Viele Landschafrassen sind mischwollig, d.h. sie enthalten Unterwolle, Deckhaare und Stichelhaare. Die Deckhaare sind oft so lang, dass sie zu Problemen in der Spinnerei führen. Somit werden solche Wollen dort oft gar nicht angenommen und man kann Mischwollen oft nur bis zum Kardierschritt verarbeiten lassen.
Die Verarbeitung von Mischwollen braucht andere Erfahrung (und vielleicht auch andere Maschinen) als das Verarbeiten von australischer Merinowolle.
Dass es sich dennoch lohnen kann, Mischwollen zu verarbeiten, zeigt beispielsweise die Mikrospinnerei Selbu in Norwegen. Sie produziert seit 2011 und hat sich auf die Verarbeitung von mischwolligen norwegischen Schafrassen spezialisiert.
In Ländern mit guter Woll-Infrastruktur wie Großbritannien oder Norwegen gibt es einen einheitlichen Wollstandard, nach dem jedes einzelne Vlies bewertet und klassifiziert wird. Auf diese Weise können alle Vliese mit vergleichbaren Eigenschaften bezüglich Faserlänge, Feinheit, Kräuselung etc. vereinigt und entsprechend große Lose gleichmäßiger Qualität bereitgestellt werden.
Im Gegensatz dazu hat z.B. Deutschland keinen einheitlichen Wollstandard. Es gibt also derzeit keine Möglichkeit, von deutscher Wolle größere Lose mit spezifischer (und gleichbleibender) Qualität für die industrielle Verarbeitung bereitstellen zu können, stattdessen gibt es tendenziell eher viele kleinere Mengen von unterschiedlicher Qualität.
Lücken in der Lieferkette
Ob und wie schnell Schafhalter:innen ihre Wolle verarbeiten lassen können, hängt maßgeblich davon ab, in welcher Region sie angesiedelt sind und welche Produkte in welchem Maßstab hergestellt werden sollen.
Eine schöne Übersicht dazu findet ihr in der Präsentation von Frau Blank “Projekte und Ansätze zur Wiederbelebung des deutschen Wollmarktes” . Sie sprach auf dem im November vom VDL veranstalteten Wollkonvent in Leipzig zum Thema Lieferketten und deren Lücken. Die Präsentationen könnt ihr hier herunterladen.
Zwanzig Kilo Kardenband oder Vlies vom Rauwolligen Pommerschen Landschaf? Das ist in der Regel kein Problem, und nach wenigen Wochen kann man die verarbeitete Wolle wieder in den Händen halten. Doch der Teufel steckt auch hier im Detail, und manche Verarbeiter:innen nehmen die Wolle nur an, wenn sie schon gewaschen wurde und hinreichend fettfrei ist (das Lanolin setzt sich auf den Maschinen ab und sorgt dort für Probleme). Manche Dienstleister:innen bieten einen Wasch- und Kardierservice an, allerdings sind dort die Wartezeiten mitunter länger.
Anders sieht es aus, wenn man zwanzig Kilo Garn haben möchte. Die vollständige Produktionskette von der Rohwolle zum (Handstrick)Garn wird nur von wenigen Dienstleister:innen angeboten und die Wartezeiten sind hier deutlich jenseits von 12 Monaten - wenn denn überhaupt Neukund:innen angenommen werden.
Besonders deutlich wird es vielleicht an folgendem Beispiel: Wenn man aus der Wolle der eigenen 100 Schafe gewebte Decken herstellen möchte, braucht man die komplette textile Kette Waschen - Kardieren - Spinnen - Weben.
Nach der Schur hat man ca. 400 kg Wolle von den 100 Schafen. Das sind ca 8 Big Bags voll. Diese Menge Wolle kann man nicht mehr im Garten waschen. Große Spinnereien (die z.B. ab 150 kg Wolle annehmen) nehmen in der Regel auch nur industriell gewaschene Wolle. Die Mindestmenge für eine industrielle Wollwäsche liegt jedoch bei 500 kg (mit Mindermengenaufschlag) bzw. 1t Wolle. Man könnte zwar Wolle von zwei Jahren sammeln, aber das kann zu Qualitätsverlusten und Vergilben der Wolle führen (von dem Risiko des Ungezieferbefalls ganz zu schweigen). An dieser Stelle muss man schon etwas kreativ werden und auch eine gut gefüllte Portokasse haben, um die Kosten für die langen Verarbeitungszeiten (bis zu 2 Jahre) vorstrecken zu können.
Es ist nicht immer so kompliziert, und für manche Schafrassen hat sich in bestimmten Regionen ein gutes System etabliert (ich denke da z.B. an das Tiroler Schafwollzentrum und Bergschafwolle), aber das Beispiel soll einfach deutlich machen: Es gibt keine Standardlösung und jede/r Verarbeiter:in muss sich ihre/seine eigene Lieferkette aufbauen.
Sobald es Wollmengen gibt, die eine Größenordnung darüber liegen (ab 1t), ist man jedoch wieder in einem einigermaßen funktionierenden Gefüge.
Was kann regionale Wolle?
Dass es auch anders geht, beweisen viele kleine Projekte im DACH-Raum, die nicht nur Strickgarne, Bettwaren und Teppiche herstellen, sondern eine breite Palette verschiedenster feiner Produkte. Hier stellen wir euch einige dieser Projekte vor.
Ein wunderbares Beispiel dafür, dass sich aus der Wolle von Fleischschafen ein regionales Kammgarn herstellen läßt, ist das von Elbwolle produzierte Konen-Webgarn. Es wird aus Deich- oder Schwarzkopfschaf-Wolle produziert, die sonst üblicherweise eher in Teppichen landet, weil sie als “zu grob” eingestuft wird. Aber wer einmal die Griffproben der Web- und Strickproben dieses Garns in der Hand hatte, wird definitiv nicht an Teppiche denken. Die Schweizer Modedesignerin Livia Naef lässt übrigens aus Elbwolle in der Schweiz schöne klassische/oversize Mäntel und Jacken herstellen.
Einen anderen interessanten Gedanken hatten die Gründer der Beutel-Rewollte. Sie stellen Bio-Abfallbeutel aus Wolle her, die zusammen mit dem in ihnen gesammelten Resten in die Bio-Tonne gegeben werden können.
Die Firma albnah verarbeitet Süddeutsche Merinowolle unter anderem zu Blazern und Mänteln.
In Österreich stellt die Firma Montafoner Steinschaf im Vorarlberg aus der gleichnamigen seltenen Rasse Filzprodukte wie Einlagen, Filzpatschen, Sitzmatten, aber auch Produkte für Hotels her. Sie lassen außerdem Socken und Handschuhe stricken (bei Heratex in der Steiermark), und bringen nächstes Jahr ein neues Produkt auf den Markt: Ein Rolltop-Rucksack wird in Vorarlberg genäht und aus regionalem Rindsleder gefertigt, das rein pflanzlich gegerbt (Olivenleder®) ist.
Der Familienbetrieb Kreutner Loden im Zillertal/Tirol verarbeitet seit vielen Jahren ausschließlich regionale Wolle zu leicht “kratzigem” Loden und Produkten daraus für eine beständige Stammkundschaft.
Ein ganz regionales Beispiel aus der Schweiz ist Tenna Tweed von Silvie Schaufelberger. Sie verarbeitet Schafwolle aus einem Tal im gleichen Kanton zu Garn, färbt das Garn anschließend mit Pflanzen aus demselben Tal und verarbeitet es zu Stoffen und Accessoires.
Die Wolle der charakteristischen Walliser Schwarznasenschafe wird bei Neeschi in der Schweiz zu wunderschönen Fellen, Garnen, Pantoffeln und auch Teppichen verarbeitet. Die Firma Vald verarbeitet Schweizer Alpenschafwolle zu Pullovern und Mützen.
Neue Ideen und um die Ecke denken: Produkte aus Wolle
Was haben Schafe mit Klavieren gemeinsam? Richtig: der Filz. Er sitzt auf den kleinen Klavierhämmerchen und ist zentral für den Anschlag der Tasten. Wie ich neulich in der Zeitung lesen konnte, spielt dabei die Schafrasse eine Rolle! Offenbar hat ein Pianist auf der Suche nach dem richtigen Klang nicht nur eigene Klavierhämmerchen gebaut, sondern auch verschiedene Schafwollen für die Filze ausprobiert und herausgefunden, dass es bestimmte Rassen für den besten Klang braucht. (Leider stand in dem Beitrag nicht, welche Rasse es war und welche der Pianist alle ausprobiert hatte. Es stand nur, dass seine Frau ihm nicht erlauben wollte, eigene Schafe zu Forschungszwecken zu halten…tsss…)
Bekleidung und Teppiche sind also nicht die einzigen Produkte, die man aus deutscher, österreichischer oder Schweizer Wolle herstellen kann. Vielleicht kann man auch von den unterschiedlichen Eigenschaften der Wollen ausgehen und schauen, wofür sie am besten geeignet sind. Ich bin fest davon überzeugt, dass es für jede Wolle eine geeignete Verarbeitung gibt. Das kann ein Teppichgarn sein, denn nicht jede Wolle ist halstauglich. Es kann aber auch eine Überraschung geben, wenn man sich auf Experimente einläßt und Dinge ausprobiert.
Warum nicht mal Socken aus Shropshire-Wolle herstellen? Shropshire gehören zu den Down-Breeds, die nur sehr schlecht filzen.
Oder warum nicht einmal die natürliche Feuerfestigkeit / schwere Entflammbarkeit von Wolle ausnutzen und eine Erdölfaser damit ersetzen?